Fasnet

Die HJ in Schwäbisch Gmünd: Nationalsozialistische Ideologie gegen alte Traditionen.
Das Beispiel Karneval
Von Kevin KONNERTH und Kubilay ÖZKAN | Stand: 2. April 2019 | Lizenz: CC BY

1. Hitlerjugend
Die Hitler-Jugend (HJ) war der institutionalisierte Versuch der Nationalsozialisten, die deutsche Jugend als „neue Menschen“ zu erziehen, um sie in der „Volksgemeinschaft“ aufgehen zu lassen. Die Förderung von Individualität und Freiheit spielte dabei keine Rolle.
In Schwäbisch Gmünd lässt sich die erste Erwähnung der HJ für das Jahr 1925 belegen. Eine inoffizielle HJ-Chronik, die im Stadtarchiv aufbewahrt wird (StA Schwäbisch Gmünd D05-01), setzt mit einem Treffen von sechs Hitlerjungen am 7. Mai 1931 ein. Im Laufe der Jahre kam es immer wieder zu Konflikten zwischen der HJ und der Bevölkerung, die aufgrund der hohen Bedeutung des katholischen Milieus und der kirchlichen Jugendarbeit geradezu vorprogrammiert waren.

2. Fasned-Traditionen in Schwäbisch Gmünd
Dies gilt auch mit Blick auf die Faschingstraditionen in der Stadt. Ein Artikel der „Rems-Zeitung“ berichtete im März 1935 beispielsweise sehr positiv über den Karneval, der auch in der laufenden Session „nach altem Brauch“ gefeiert werde („Rems-Zeitung“, 6.3.1935, S. 4). In diesem Zusammenhang verwies man explizit auf eine lang bestehende Tradition, die eng mit der katholischen Prägung Schwäbisch Gmünds verbunden war. Insgesamt wurde der Fasching von der „Rems-Zeitung“ als so wichtig erachtet, dass man alle Leser dazu aufrief, den Bericht auch an fortgezogene Einwohner der Stadt weiterzuleiten. Die ,,närrische Stimmung“, die „weite Kreise der Einwohnerschaft“ erfasst habe („Rems-Zeitung“, 6.3.1935, S. 5), erhielt auf diese Weise einen identitätsstiftenden Charakter. Dazu passte es, wenn in der Zeitung zugleich davon berichtet wurde, dass beim traditionellen Faschingsumzug die ganze Stadt auf den Beinen gewesen sei: Wer nicht selbst am Festzug teilnehme, verfolge das närrische Treiben zumindest vom Fenster oder vom Balkon aus.

3. Die Gmünder Fasned im Spiegel der HJ-Chronik
Soweit der Bericht in der „Rems-Zeitung“. Schaut man hingegen in die HJ-Chronik, gewinnt man einen völlig gegensätzlichen Eindruck. Dabei wird rasch deutlich, dass sich am Thema „Fasching“ ein fundamentaler Widerspruch zwischen nationalsozialistischer Jugendbewegung und katholischem Stadtmilieu entzündet, der weit über die unterschiedliche Bewertung des „närrischen Treibens“ hinausgeht.

Auszug aus einem Tagebucheintrag eines Mitglieds der HJ Gmünd
Der folgende Textausschnitt stellt den Karneval 1935 aus der Sicht der HJ dar. Er ist besonders aufschlussreich, weil er die Sprache der Hitlerjugend wiedergibt und ihre Ziele benennt.

,,Die Gmünder glauben, einen sinnlosen, ries(s)igen Faschingsbetrieb aufziehen zu müssen. Ein kostspieliger Umzug wird organisiert. In jener Zeitung steht: ,Wer sich zur Volksgemeinschaft bekennt, besucht den Faschingsball. Nur Meckerer und Mucker bleiben zuhause.‘“ Bereits hier wird unmissverständlich klar, dass die HJ die Gmünder Tradition des Karnevals rundum ablehnt. Zugleich nimmt der Text auf den oben genannten Zeitungsartikel ausdrücklich Bezug. Aus Sicht der HJ propagiert die „Rems-Zeitung“, dass man am Faschingsball teilnehmen müsse, um Teil der „Volksgemeinschaft“ zu sein. Dies hält die HJ für geradezu obszön: Während die HJ „nicht einmal in der Lage“ sei, ihre „Kameraden“ warm einzukleiden, vergeude man für den Fasching „ungeheure Summen für ein paar Stunden Ballrummel“. Für die HJ war der Fasching nicht mehr als ein Relikt überholter katholischer Traditionen – und noch dazu eine riesige Geldverschwendung. Mit der nationalsozialistischen „Volksgemeinschaft“ hatte er in den Augen der Hitlerjungen nichts zu tun.

Für die HJ blieb es nicht beim verbalen Protest. Ihre Mitglieder schritten vielmehr zur Tat, in dem sie knallrote ,,H.J. im Angriff“-Plakate in den Balllokalen platzierten und Veranstaltungen gezielt störten. Von alldem war öffentlich jedoch nichts zu lesen. Die „Rems-Zeitung“ berichtete wie üblich über den Faschingsumzug, und vielleicht war es nur ein Zufall, dass ganz am Ende der gleichen Zeitungsseite ein recht kleiner Hinweis auf eine bald stattfindende Aktivität der HJ gesetzt war. Die Berichterstattung der „Rems-Zeitung“ veranschaulicht sehr genau, wie unterschiedlich groß die Aufmerksamkeit war, die sich auf den Fasching einerseits und die HJ andererseits richtete. Während für den Umzug mehr als eine Seite zur Verfügung stand und sogar Einzelheiten detailliert beschrieben wurden, umfasste die HJ-Ankündigung nur wenige Zeilen.

Ob die Hitlerjungen restlos davon überzeugt waren, dass ihre Aktionen gegen den Fasching in Gmünd angemessen waren? Sollte es daran innerhalb der HJ tatsächlich Zweifel gegeben haben, so wurden sie rasch beiseite gewischt – galt es aus ihrer Perspektive doch, alles und jeden dem Ziel unterzuordnen, „ein neues Reich zu hämmern!“ Dass man möglicherweise alte Traditionen zerschlagen musste, um neue Mythen zurechtzuzimmern, wurde dabei bereitwillig in Kauf genommen. Die Konflikte, die sich daraus ergaben, werden am Beispiel des Gmünder Faschings 1935 schlagartig sichtbar.

4. Weiterführende Literatur
Dietmar, Carl/Leifeld, Marcus: „Alaaf und Heil Hitler“. Karneval im Dritten Reich. München 2010.
Klönne, Arno: Jugend im Dritten Reich. Die Hitlerjugend und ihre Gegner. Köln 2003.
Müller, Ulrich: Schwäbisch Gmünd unterm Hakenkreuz. Schwäbisch Gmünd 2017.

 

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