Anlässlich der 850-Jahr-Feier der Stadt Schwäbisch Gmünd im Jahr 2012 entstand eine Open-Air-Ausstellung mit 22 Tafeln zur Stadtgeschichte.
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Das Tagebuch des NSDAP-Kreisleiters Hermann Oppenländer
Von Bertram HOFFMANN und Benjamin PREIß | Stand: 2. April 2019 | Lizenz: CC BY
1. Tagebücher als historische Quellen
Tagebücher sind historische Quellen besonderer Art: Einerseits haben sie die Funktion einer bloßen Erinnerungsstütze, anderseits eröffnen sie einen Reflexionsraum, in dem der Verfasser über sich selbst und seine Stellung in der Gesellschaft nachdenkt. Bekannte Autoren von Tagebüchern, deren Rang über denjenigen alltäglicher Gebrauchsliteratur hinausreicht, sind für den politischen Bereich beispielsweise Joseph Goebbels und für den künstlerischen Thomas Mann oder Ernst Jünger.
Das Tagebuch von Hermann Oppenländer gehört sicherlich nicht zu jener Kategorie, die durch einen herausragenden politischen oder ästhetischen Gestaltungswillen gekennzeichnet ist. Es handelt sich vielmehr um ein Protokoll verschiedener Aktivitäten, die der Verfasser – ohne Rücksicht auf ihre Relevanz – stichpunktartig notiert hat. Und doch ist dieses Tagebuch von besonderem Interesse. Denn Oppenländer war von 1937 bis zum Kriegsende als Kreisleiter der NSDAP in Schwäbisch Gmünd tätig. Sein Name ist eng mit der Geschichte der Stadt während des „Dritten Reichs“ verbunden.
2. Der Autor: Hermann Oppenländer
Um die historische Bedeutung des Tagebuchs zu erkennen, ist zunächst ein Blick auf den Lebensweg des Verfassers erforderlich. Hermann Oppenländer wurde am 1. September 1900 in Vaihingen an der Enz geboren, wo er in einem stark protestantisch geprägten Milieu aufwuchs. In der Endphase des Ersten Weltkriegs wurde er 1918 zum Militärdienst eingezogen. Anschließend absolvierte er eine Ausbildung zum Volksschullehrer und war seit 1922 als Lehrer an verschiedenen Schulen in Nord- und Ostwürttemberg beschäftigt, zuletzt als Rektor.
Bereits 1926 trat Oppenländer der NSDAP bei. Von 1933 bis 1945 war er – mit kurzer Unterbrechung zwischen 1935 und 1938 – Mitglied der SA. In der SS erlangte er 1938 den Dienstgrad eines Sturmbannführers. Darüber hinaus war Oppenländer Mitglied im Nationalsozialistischen Fliegerkorps (KSFK), in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt (NSV) sowie im Nationalsozialistischen Lehrerbund (NSLB). 1934 übernahm er hauptberuflich das Amt des NSDAP-Kreisleiters in Vaihingen an der Enz. Drei Jahre später wurde er auf Initiative von Gauleiter Murr nach Schwäbisch Gmünd versetzt, um den dortigen Kreisleiter Alfons Baur abzulösen, der vielen in der Partei als zu „weich“ galt.
Innerhalb der NSDAP-Hierarchie kam dem Kreisleiter eine Schlüsselposition auf lokaler Ebene zu. Er war für alle politischen Entscheidungen in seinem Gebiet zuständig und konnte – in Konkurrenz zu staatlichen Dienststellen – seinen Herrschaftsanspruch auch auf das Handeln der Verwaltung ausdehnen. Nicht selten hing es vom Votum des Kreisleiters ab, ob jemand ins KZ kam oder nicht, ob jemand an die Front geschickt oder als „unabkömmlich“ eingestuft wurde. Seine willkürliche Entscheidungsgewalt machte vor Leben und Tod nicht Halt.
Vor allem in katholisch geprägten Regionen, in denen – wie in Gmünd – die Zentrumspartei bis 1933 die führende politische Kraft gewesen war, stieß der Totalitätsanspruch der NSDAP auf mancherlei Hindernisse. Eine der zentralen Aufgaben von Hermann Oppenländer bestand deshalb darin, den Führungsanspruch der NSDAP auch in Schwäbisch Gmünd durchzusetzten und zu festigen. In der Folge kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Oppenländer und Oberbürgermeister Franz Konrad.
3. Inhalt und Auswertung
Das Tagebuch, aus dem hier wichtige Auszüge präsentiert werden, setzt mit Oppenländers Ernennung zum Kreisleiter am 1. Oktober 1937 ein. Es reicht bis zum November 1940. Während sich Oppenländer als Kreisleiter in Vaihingen an der Enz großer Beliebtheit erfreut hatte, stieß er im katholischen Milieu von Schwäbisch Gmünd von Anfang an auf Ablehnung. Nach dem Pfarrhaussturm am 11. April 1938, in dem ein aufgehetzter Mob das Pfarrhaus verwüstet hatte und die örtliche Polizei statt einzugreifen die Geistlichen in Schutzhaft nahm, wurde er das Ziel heftiger Angriffe, die bis hin zu Todesdrohungen reichten. Dies spiegeln die Tagebucheinträge vom 15. April 1938 und vom 30. Mai 1938 wider.
<A1: 15.04.38>,<A2: 30.05.38>
Der hier skizzierte Konflikt zwischen Partei und katholischer Kirche zieht sich wie ein roter Faden durch das Tagebuch. Über die konkrete politische Auseinandersetzung hinaus zeigt Oppenländer in seinen Notizen eine tiefsitzende Aversion gegen alles Katholische, was sich in abfälligen Bemerkungen und negativen Kommentaren ausdrückt.
<A3 17.02.39>, <A4 27.02.39>,<A5 01.09.1940>
Gegen das verhasste katholische Milieu stellt Oppenländer dabei immer wieder die verklärende Darstellung seiner protestantischen Sozialisation „im heimeligen Vaihingen bei den ehrlichen Menschen“.
<A6 07.12.39>
Die antikatholische Haltung bestimmt auch Oppenländers Blick auf den strukturellen Konflikt zwischen Staat und Partei. Die Spannungen zwischen dem Kreisleiter und dem Oberbürgermeister eskalierten derart, dass schließlich sogar Gauleiter Murr einschreiten musste.
<A7 16.12.39>,<A8 27.12.39>
In zahlreichen Tagebucheinträgen bedient sich Oppenländer aus dem rhetorischen Arsenal antikatholischer Klischees. „Er ist katzenfreundlich. Echter Jesuit!“, so heißt es beispielsweise über den Oberbürgermeister. Er sei „charakterlos wie alle Katholiken“, und wenn Oppenländer seine Wut kaum mehr zu zügeln vermag, hält er sarkastisch fest, Konrad habe wohl „wieder seine Tage“.
<A9 13.12.39> <A10 19.06.40>
Ansonsten sind viele Banalitäten akribisch notiert. Er hält fest, bei wem er zu Besuch war, und verzeichnet, wer sich ihm gegenüber respektvoll oder respektlos verhalten hat. Auch Privates mischt sich darunter, wie z.B. die missglückte Verlobung einer nahen Verwandten – und auch hier scheint sein Hass gegen alles Katholische durch, denn er misstraut dem Verlobten ausdrücklich, weil dieser Katholik ist. <A3>
Im November 1940 brechen die Eintragungen ab. Es scheint jedoch, dass das Tagebuch in fremde Hände gelangte und weiterverwendet wurde. So findet man typisch kindliche Schmierereien neben handschriftlichen Berechnungen und einer Reihe elektrischer Schaltpläne, die mit Erläuterungen versehen sind, als wäre das Tagebuch als Skizzenpapier für schulische Zwecke benutzt worden.
Eine Karikatur auf der vorletzten Doppelseite links ist mit „Oppenländer“ bezeichnet. In den Text sind verschiedene Berechnungen gekritzelt. Auf der rechten Seite sind mehrere Schaltpläne erkennbar. Solche Spuren finden sich überall im Tagebuch, nicht selten ist Text ausradiert worden, um Platz für Zeichnungen oder Berechnungen zu schaffen.
<A11 Karikatur und Schaltplan> letzte Doppelseite
4. Kriegsende und Nachkriegszeit
Noch am 19. April 1945, als die amerikanischen Truppen bereits vor den Toren der Stadt standen, ließ Oppenländer ohne standrechtliches Verfahren zwei Männer, Heinrich Probst und Robert Haidner, wegen regimekritischer Äußerungen erschießen. Nach seiner Flucht aus Schwäbisch Gmünd wurde Oppenländer jedoch von den Alliierten festgenommen und interniert. Vom Landgericht Ellwangen wurde er am 1. Dezember 1947 wegen seiner Beteiligung beim Pfarrhaussturm und zweifacher Tötung zu insgesamt zwölf Jahren und vier Monaten Zuchthaus verurteilt. Im Rahmen des Entnazifizierungsverfahrens stufte ihn die Spruchkammer in Schwäbisch Gmünd als „Hauptschuldigen“ ein. Umso überraschender erscheint der Umstand, dass man Oppenländer bereits nach sechs Jahren Haft begnadigte und in die Freiheit entließ. Damit erhielt er sämtliche Bürgerrechte zurück, konnte erneut im öffentlichen Dienst arbeiten und 1956 sogar in den Schuldienst zurückkehren — ausgerechnet als Lehrer für politische Bildung.
Zeichen von Reue finden sich bei Oppenländer nach 1945 nicht. Vielmehr lässt sich beobachten, wie er den Versuch unternahm, allzu auffällige Spuren der eigenen Vergangenheit zu tilgen. So bat er den Stadtkämmerer von Schwäbisch Gmünd 1956 brieflich darum, in der Geburtsurkunde seines 1939 geborenen Sohnes den Beruf des Vaters, der mit „Kreisleiter“ angegeben war, durch „Volksschullehrer“ zu ersetzen. Er ignorierte dabei geflissentlich die Tatsache, dass er das Amt des NSDAP-Kreisleiters hauptberuflich ausgeübt hatte. Seine Vergangenheit war ihm nur den Satz wert, er habe nun „endlich eine recht beschwerliche Lebensperiode abgeschlossen.“
<Schreiben Stadtkämmerer>