Stadtverwaltung Schwäbisch Gmünd
Johannisplatz 3
73525 Schwäbisch Gmünd
Silber – das weiße, helle und spiegelnde Metall gehört seit beinahe 150 Jahren zur DNA des Gmünder Museums im Prediger. 1876 von den ansässigen Silberfabrikanten nach dem Konzept des Londoner Victoria and Albert Museum gegründet, ist das Gmünder Museum die älteste kunstgewerbliche Vorbildersammlung im deutschen Südwesten. Seitdem zählt, ganz im Sinne der Gründerväter, das Sammeln von gut gestalteten und zukunftsweisenden Erzeugnissen des Edelmetallgewerbes zu den zentralen Aufgaben des Hauses.
Dieser besondere Genius Loci ist der Ausgangspunkt für die Sonderausstellung TIMELESS SILVER, welche die materiellen Vorzüge, die Vielseitigkeit und die visuellen Eigenschaften des faszinierenden Metalls in das Zentrum der Betrachtung stellt. Unvergleichlich ist der kühle Silberglanz des Materials, der – je nach Art der Behandlung – auf Hochglanz poliert, als Spiegel, oder mattiert, als helle, immer noch stark reflektierende Fläche erscheint. In sechs thematisch gegliederten Kapiteln treten über 80 Meisterwerke der historischen und zeitgenössischen Silberschmiedekunst in einen epochenübergreifenden Dialog und erzählen ihre Geschichten als Auftragsarbeiten oder als außergewöhnliche, künstlerische Schöpfungen: angefangen von einem um 1400 vermutlich in Burgund gefertigten, höfischen Löffel über kirchliches Gerät und höfisches Tafelsilber bis zu einem eigens für die Ausstellung konzipierten Raumensemble, das sich als Gesamtkunstwerk präsentiert.
Den Kern der Ausstellung bilden ausgewählte Werke der kunstgewerblichen Sammlung des Gmünder Museums.
Dazu treten wertvolle Leihgaben der Helga Matzke KG, aus musealen Sammlungen und Privatbesitz. In der weiteren Unterstützung durch das Forschungsinstituts Edelmetalle + Metallchemie (fem) verbindet die Ausstellung technische Innovationen mit künstlerischem Ehrgeiz, um einen neuen Blick auf das glanzvolle Material zu eröffnen.
Zur Präsentation liegt ein Katalog auf: 200 Seiten, dt./engl., 39 Euro.
Ein umfangreiches Begleitprogramm bietet vielfältige Möglichkeiten zur Vertiefung.
Auf YouTube zu sehen: Die filmische Rezension zu TIMELESS SILVER von Dr. Rainer Zerbst.
Die Gestaltung von Silber bietet viele kreative und technische Möglichkeiten. Die Kenntnis der Materialeigenschaften ist die Grundlage, um ein einfaches oder außergewöhnlich komplexes Design in ein dreidimensionales Kunstobjekt zu verwandeln. Die Ausstellung untersucht die verschiedenen Techniken der Silberschmiedekunst bei der Formgebung und künstlerischen Ausarbeitung im Hinblick auf die Texturen und Strukturen von Oberflächen, wobei die Kontinuität jahrhundertealter Arbeitsverfahren bis in die Gegenwart beleuchtet wird. Dabei lassen sich die handwerklichen Techniken studieren, die den Gold- und Silberschmieden zu Gebote stehen: neben dem obligatorischen Gießen, Ziselieren, Punzen und Vergolden auch das Gravieren und Ätzen. Im Hinblick auf die technischen und gestalterischen Aspekte der Silberschmiedekunst ist es der Ausstellung ein Anliegen, ein Qualitätsbewusstsein für die charakteristischen Merkmale der Produktion in den dominierenden kunsthandwerklichen Zentren Mitteleuropas in der frühen Neuzeit zu vermitteln. Die Vielfalt dieser Zentren nehmen ausgewählte Stücke aus Augsburg, Nürnberg, Ulm, London und Paris in den Blick.
Das erste der auf sechs Kapitel ausgelegten Ausstellung widmet sich dem Genius Loci, dem besonderen Geist, den Schwäbisch Gmünd als Stadt der Gold- und Silberwarenproduktion ausgeprägt hat. Ein Markstein in diesem Zusammenhang war die 1876 erfolgte Gründung des Kunstgewerbemuseums, das mit dem Erwerb mustergültiger Vorbilder und dem Sammeln von metallenen, stilgeschichtlich relevanten Trendstücken, ein Fundament für den kunstgewerblichen Sammlungsbestand des Gmünder Museums legte. Ausgesuchte Stücke daraus bilden den Kern der ersten Abteilung.
Zu den wirkmächtigsten sakralen Exponaten zählen zwei Objekte aus dem Kirchenschatz des Heiligkreuzmünsters, den das Museum bewahrt: Zum einen ein seltenes Kreuzreliquiar in Form eines Kalvarienbergs aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, das vermutlich in Ulm gefertigt wurde und im Sockel silbervergoldete Plättchen mit Punzierungen in einer außergewöhnlich feinen Pariser Technik aufweist; darauf dargestellt sich Szenen mit profanen und chevalereske Themen. Zum anderen eine zwischen 1695 bis 1700 in der Werkstatt des Augsburger Goldschmieds Michael Mair hergestellte, prächtige Strahlenmonstranz, die in ihrer Gesamtkonzeption, aber auch in der Akribie der Ornamentik zeigt, was Augsburg als führendes Goldschmiedezentrum des Reiches im Barock zu leisten imstande war.
Der Leihgabe der Galerie Matzke, Grünwald, verdankt sich ein silberner, fein geschmiedeter, mit der Stadtmarke von Toulouse und der Meistermarke des Silberschmieds Claude Mazas versehener Löffel von 1517; der Löffel, der in seinem zeitlosen Design über die Jahrhunderte hinweg anspricht, verkörpert nicht nur die Tafelkultur der Renaissance, sondern auch die älteste gestempelte Silberarbeit in der Ausstellung.
Ein Schiffspokal des Nürnberger Meisters Esaias zur Linden aus dem Jahr 1620, der 1911 aus dem Nachlass des Gmünder Silberwarenfabrikanten Albert Faber (1852–1911) in die Sammlung des Museums gelangte, lässt erahnen, weshalb sich Pokale in dieser Gefäßform in Zeiten der Entdeckungsreisen über die Meere als Tafelschmuck einer großen Wertschätzung erfreuten. Allein die Kühnheit, wie der Goldschmied, Ziseleur, Graveur, Emailleur und Bildhauer Wilhelm Widemann (1856–1915) in seinem Tafelaufsatz „Triton mit Meeresnymphe“ von 1890 Metalle – Silber und vergoldetes Messing – mit organischen Materialien – Gestein sowie galvanisierte Korallen und Pflanzen – verbindet, machen das Exponat zu einem Hingucker. Als Leihgabe aus Privatbesitz verkörpert nicht zuletzt ein sehr seltener, formschöner Öl- und Essigständer, ein sogenannter Huilier des Gmünder Silberschmieds Moritz Ignaz Emer (1734–1808) im Stile des Rokoko, der sich in seiner Raffinesse an der französischen Speisekultur orientiert, den Lebensstil der Oberschicht Gmünds in der letzten Epoche der Reichsstadtzeit.
Um das Thema der Oberflächenveredelung und Abformung von Edelmetallobjekten auf galvanischem Wege geht es im zweiten Kapitel. Dazu sind Meisterwerke der galvanoplastischen Nachbildung zu sehen, darunter die „Pompejan Lady“-Platte der Firma Elkington & Co. in London und von der Firma Christofle & Cie. in Paris das Prunkstück des Hildesheimer Silberschatzes, die Minerva-Schale. Daneben steht eine prachtvolle, in Gold und Goldfiligran gearbeitete Kugel aus dem frühkeltischen Fürstinnengrab von der Heuneburg, die vom Forschungsinstitut Edelmetalle + Metallchemie (fem) mit einem speziellen 3D-Röntgen-Computertomographen analysiert wurde, für die Kompetenz des Gmünder Unternehmens auf dem Gebiet der Werkstoffwissenschaften und Oberflächentechnologie.
Herausragende Werke vom frühen 17. Jahrhundert bis in die Gegenwart beleuchten im dritten Ausstellungskapitel die Vielfalt technischer Möglichkeiten für Formgebung, Design und Dekor. Warum Nürnberg im 16. und 17. Jahrhunderts ein Zentrum von europäischem Rang war, dokumentieren zwei Meisterwerke der Silberschmiedekunst, die als Leihgaben des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg zu sehen sind: zum einen ein Paar in den Wandungen fein gravierter Sturzbecher der Nürnberger Patrizierfamilie Tetzel, die um 1610 in der Werkstatt von Hans Pezolt entstanden und das brillante künstlerisch-handwerkliche Können des Meisters bezeugen. Zum anderen ein vergoldeter Tulpenpokal aus dem Jahr 1673 von Sigmund Bierfreund, dem die Silberforschung den sprechenden Namen des „Meisters der Tulpenkuppen“ gegeben hat.
Wie sich das im 17. Jahrhundert äußerst beliebte „Schlangenhautdekor“ zeitlos modern fortschreiben lässt, offenbart ein Taufbecher des Memminger Meisters Christoph Laminit aus der Zeit um 1630 im Vergleich mit einem Becher des Gmünder Silberschmieds Florian Färber aus dem Jahr 2015. Eine Sequenz silberner Kaffeekannen veranschaulicht nicht nur die beeindruckende Vielfalt an Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich dieser Gefäße, sondern auch eine Geschichte des Designs über rund drei Jahrhunderte hinweg. Diese Erzählung beginnt mit einer Kaffeekanne der Londoner Meister Robert Timbrell und Joseph Bell von 1713/14; in ihrer schlichten, achteckigen Gestaltung lässt diese schon an eine Abstraktion denken, wie sie schließlich in der 1960 vom Hochschullehrer und Designer Karl Dittert (1915–2013) für die Firma Bruckmann & Söhne in Heilbronn entworfenen Kaffeekanne in Erscheinung tritt. Dazwischen repräsentiert eine Kaffeekanne, die der französische Bildhauer Albert-Ernest Carrier-Belleuse 1880 für die Pariser Firma Christofle entwirft und eine Venus mit Amor ziert, den malerischen Figurenstil der Belle Époque.
Welch außergewöhnliche Farbwirkungen sich mit Silber im Dialog mit anderen Metallen, mit farbigen Steinen und Email erreichen lassen, vergegenwärtigt das vierte Kapitel der Ausstellung. Prunkemails von Wilhelm Widemann sind exponierte Belege dafür, wie aus der Kombination von emaillierter Metallplastik mit Naturmaterialien fantastische Kunstwerke entstehen können. In Bechern, Döschen und Vasen akzentuieren sich die vielen Variationsmöglichkeiten, eine silberne Fläche farbig zu gestalten. Vergoldungen, Metalleinlagen (Niello) und Gravierungen zeigen sich exemplarisch an einem von der Firma F. Nicoud in Paris hergestellten und dort 1878 vom Gmünder Kunstgewerbemuseum erworbenen Becher. Daneben zeichnen leuchtend blaue Emailstreifen und exquisite Jugendstilornamentik eine Silbervase aus, die von Archibald Knox (1864–1933) für das Kaufhaus Liberty entworfen und 1908 in London vom Gmünder Kunstgewerbemuseum erworben wurde. Dass das Spektrum der Möglichkeiten bis zur Negierug des Materials reicht, lässt sich an einem durch Ätzung bearbeiteten Becher des Münchner Silberschmieds Peter Bauhuis (*1965) ablesen, dessen Oberfläche kaum noch an Silber denken lässt.
Der faszinierenden, Licht und Schatten erzeugenden Wechselwirkung von hochglanzpolierten Flächen mit plastisch gestalteten und ornamentierten Teilen widmet sich das fünfte Kapitel mit Silber aus Barock, Empire und Moderne. Besonders gut zu beobachten ist dies bei drei Terrinen aus dem Besitz von Ernst August I., König von Hannover, darunter zwei Exemplaren aus der Werkstatt von Henri Auguste, einem der führenden Pariser Silberschmiede des Klassizismus und Empire. Ein äußerst reizvolles Wechselspiel von Licht und Schatten lässt sich weiterhin an der wellenförmigen Oberfläche einer Mokkatasse mit Untertasse der Firma G. Bachelet in Paris ablesen, die 1889 auf der dortigen Weltausstellung für die Sammlung des Gmünder Kunstgewerbemuseums als Beispiel für Innovationen und Trendstücke angekauft wurde.
Wie eine Sublimierung des Ausstellungsthemas liest sich der abschließende Raum. In Form einer spätbarocken Maria-Immaculata-Figur greift er die traditionelle Materialität von Silber noch einmal auf, weitet sie und transformiert sie ästhetisch mit Arbeiten von zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern, in denen es um die stoffliche Auflösung in Licht, um Reflektionen und Vervielfältigungen in Spiegelungen geht. Speziell für die Ausstellung entstand in enger konzeptioneller Zusammenarbeit mit dem Frankfurter Künstler Rolf Poellet (*1962) ein durch Inszenierung und Intermedialität körperlich erfahrbarer Raum, der vielfältige Dialoge und Assoziationen ermöglicht.
Auf den Raum und die Architektur bezogen, fertigte Poellet die 316-teilige Arbeit "Bossa Nova Mystery". Die alle vier Wände umspannende Malerei transformiert den bildlichen Illusionsraum in ein Raumbild, wodurch der Raum zum Bild und das Bild zum Raum wird. Poellets Arbeit ist nicht nur Hintergrund, sondern reflektierender Bezugsrahmen zu einer spätbarocken Maria Immaculata des Augsburger Silberschmieds Franz Anton Lang (Meister 1752, gest. nach 1769), Werken der Op Art-Künstler Adolf Luther (1912–1990) und Heinz Mack (*1931), einer von Claudia Wieser (*1973) eigens zur Ausstellung gefertigten Spiegelarbeit und einer Kanne des südkoreanischen Silberschmieds Dong-hyun Kim (*1978), die ebenfalls speziell für die Schau entstand und in ihrem zeitlosen Design das Ausstellungsthema verkörpert. Im Spannungsfeld von Realität und Abbild, physischer Präsenz und Projektion ermöglicht der Raum ästhetisches Erlebnis und Reflexion als besondere Erfahrungskategorien.